Mittwoch, 18. Juni 2008

26.11.66

Aufgrund meines Referates für alte Geschichte wenig Zeit für Politik. Jetzt: Bayernwahl (20.11.) brachte der NPD in Franken mehr als 10% der Stimmen u. damit Einzug ins Parlament. Insgesamt hatte sie glaube ich 7,4 (oder 5,4?) der Stimmen. Sie erhielt jetzt 15 Mandate im bayr. Landtag. Die FDP erhielt in Franken nur 9,9 % u. kam damit nicht in den Landtag. Insofern trotz des geringeren Prozentsatzes an NPD-Stimmen als in Hessen noch alarmierender.
Umso alarmierender ist die Nachricht nach den neuesten Nachrichten. SPD und CDU schließen eine große Koalition (es soll genau 1 Monat nach Zerfallen der FDP-CDU-Koalition sein.) Zwar ist das noch nicht offiziell (die Parteigremien haben noch nicht zugestimmt), aber die Entscheidung ist gefallen.
Am Donnerstag erstmals erschien eine große Koalition wahrscheinlich. Vorher hatte die SPD stets ihre größere Übereinstimmung mit der FDP in Sachfragen betont. Und Sachfragen sollten entscheiden! - Dann hat man aber offenbar Angst vor FDP-Abgeordneten, die bei der Gesetzgebung nicht mitmachen könnten, bekommen, und außerdem wirkte das Beispiel Nordrhein-Westfalens, wo die CDU die SPD um Koalition angegangen ist.(vgl. S.1 [hier: 6.7.66]) -
Das augenblickliche Ergebnis erscheint mir das schlimmst-mögliche.* Jetzt kann man bei den nächsten Wahlen noch nicht einmal mit gutem Gewissen SPD wählen. Es erscheint ja geradezu wahrscheinlich, daß sie, wenn sie nicht die absolute Mehrheit bekommt, nur weiter mit der CDU zusammengeht. - Der Staatsbankrott, von dem die SPD - ich habe es hier in Marburg von Helmut Schmidt gehört, 3.11., wenn ich nicht irre, sprach, ist nicht mit dem Versagen der CDU eingetreten, sondern erst jetzt mit dem Versagen der SPD. Solange es eine Alternative gibt, ist eine unfähige Partei nicht schlimm. Aber wenn einem auch die genommen wird .... Die CDU zerfiel in zu widerstrebende Gruppen, das war ihr Verderben. Mit der SPD zusammen aber wird bestimmt keine größere Einigkeit erzielt. Es steht uns die Zeit großer Halbheiten bevor. Die FDP aber, die einzige Partei, die bei der Sache zu ihren Grundsätzen gestanden hat, ist in Opposition und muß fürchten, durch die NPD verdrängt zu werden. Jetzt, wo die große Koalition aller Wahrscheinlichkeit die Krise aufrechterhalten und unsere Parteien in ein schlechtes Licht setzen wird, bestimmt. - Natürlich glaube ich, daß die CDU eine Partei ist, der man den Staat auch jetzt noch anvertrauen dürfte; die große Koalition wird sicherlich noch bessere Entscheidungen treffen, als die CDU allein es täte. Aber: Wie ist sie zustandegekommen! Wieviel besser wäre eine Koalition mit der FDP gewesen, wo erstmals Alternativen und nicht Kompromisse mit der CDU-Politik zum Zug gekommen wären! - Gut könnte sich die große Koalition freilich auswirken, wenn sie die Strafgesetzgebung endlich in die Hand nähme und sinnvoll reformierte. Für völlig falsch würde ich eine Wahlgesetzänderung auf Mehrheitswahl halten. Denn dann gibt es ja erst recht die Möglichkeit der kleinen Mehrheiten. Und wenn man die auch dann scheut und eine große Koalition schließt! Nicht auszudenken! - Außerdem hielte ich es für gefährlich, die letzte deutsche Prinzipenpartei, die außerdem Honoratioren und (!) "Intelligenzpartei", jedenfalls noch eine Partei für Individualisten ist, auszuschalten.

* Zusatz vom 5.4.2019
2017 habe ich wieder das Zustandekommen einer (in diesem Fall dritten innerhalb kurzer Folge) für einen großen Fehler gehalten. Dass Günter Gaus damals "für die Große Koalition im Bund eintrat" (G.Gaus: Widersprüche. Erinnerungen eines linken Konservativen, 2004, S.276), rechne ich ihm heute als politische Weitsicht an. Auch imponiert mir sein positives Urteil über Wehner, das ich heute zwar noch nicht teile, aber für gut begründet halte. Sein Interview aus dem Jahre 1964, das ich vor gut einem Jahr erstmals gesehen habe (vgl. auch das von 1968), hat mich schon auf das sehr positive Urteil in seiner Biographie von 2004 vorbereitet.
Gaus' Interviews habe ich wohl Anfang der 1970er Jahre erstmals kennengelernt, damals nur in schriftlicher Form. Erst 2017/18 habe ich angeregt durch das Interview mit Hannah Arendt 1964 die ganze Fülle seiner Interviews kennengelernt. Sie scheinen mir die wichtigste Quelle zum Verständnis der Politiker, die er über 40 Jahre hin interviewt hat. 
- Mehr zu diesen Interviews: Video - Links)

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